Blogparade #Arbeitgeberwunsch: Weniger Maßnahmen. Einfach mal zuhören.
Mein Verhältnis zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist gespalten.
Mehrfach.
Ich bin genervt.
Ich bin frustriert.
Und manchmal bin ich optimistisch.
Wie passt das zusammen?
Ich bin genervt von den immer gleichen Gesprächen auf den immer gleichen „Vereinbarkeitsveranstaltungen“. Ich bin genervt davon, dass sich alles um „Maßnahmen“ dreht. Dass ich, wenn ich mit einem Unternehmen über Neues Arbeiten ins Gespräch kommen möchte, Wörter wie „Employer Branding“ in mein Anschreiben schreiben muss. Und Zahlen aus Studien von „angesehenen“ Beraterfirmen, die mit ihrer Art zu arbeiten fernab von jeglicher Vereinbarkeit sind und ein System stützen, dass Menschen und Umwelt mit Füßen tritt. Jene Zahlen, die angeblich belegen, dass „familienfreundliche Maßnahmen“ auch ja einen entsprechenden „Return on Investment“ bringen.
Ich bin genervt, dass 100 Leute zu Veranstaltungen kommen, in denen es um KI und KPIs geht und nur eine Handvoll Leute zu Formaten, in denen wir über den Menschen und ein gutes und gesundes (Arbeits-)Leben sprechen und wie wir dort hinkommen. Ich bin genervt vom ewigen Stundenzählen – Vollzeit, Teilzeit, bla bla bla.
Und dann kommt – natürlich – die Digitalisierung ins Spiel. Und spätestens jetzt bin ich frustriert.
Noch mehr Maßnahmen im Maßnahmenkatalog – nur jetzt auch digital.
Ich bin frustriert, weil alle über digitale Tools reden und neue Technologien, als seien diese ein Selbstzweck. Als sei Digitalisierung an sich etwas, dass man einfach machen und geil finden müsste. Bei dem man dabei sein muss, ohne nach dem Warum und Wie zu fragen. Mich frustriert eine entsprechend verkürzte Debatte, wenn es um „Digitalisierung und Vereinbarkeit“ geht. Noch mehr Maßnahmen im Maßnahmenkatalog – nur jetzt auch digital. Als ob eine App die grundsätzlichen Fragen unseres Zusammenlebens – und -arbeitens beantworten könnte. Genau diese Fragen müssen sich Unternehmen aber stellen. Denn Digitalisierung ist nicht nur ein technologischer Wandel. Sie ist vor allem ein kultureller Umbruch, der unsere Art zu kommunizieren, zu lernen, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen verändert – beruflich wie privat.
Digitalisierung ist nur dann geil, wenn sie den Menschen nützt – individuell, aber auch und vor allem als Gesellschaft. Wenn sie das Leben einfacher, schöner, lebenswerter macht als „früher“. Wenn sie Ressourcen schont und Freiräume schafft. Wenn Arbeitgeber nicht versuchen, mit Hilfe von Technologie noch mehr aus den Menschen rauszupressen, die für sie arbeiten. Noch höher, noch schneller, noch weiter – einfach weil Technologie es möglich macht. Dabei muss heute niemand acht Stunden am Tag arbeiten, um einen wertvollen Beitrag zu leisten. Noch nie haben wir so viel in so kurzer Zeit schaffen können – das kommt gerade Menschen in Lebensphasen zu gute, in denen sie Zeit für ihre Familie brauchen und wollen.
Digitalisierung ist eine Chance, Arbeit ganz neu zu gestalten. Das setzt aber voraus, dass Menschen mit Führungsverantwortung bereit sind, sich von alten Denkmustern zu verabschieden. Alte Denkmuster, die um Vollzeit, Teilzeit, Rückkehrrecht, Angestellte hier und Arbeitgeber dort kreisen.
Was wäre, wenn Unternehmen Menschen mit Kindern nicht weniger Verantwortung übertrügen, sondern mehr?
Ok, aber wie sehen sie dann aus – diese „Neuen Denkmuster“? Ein Auszug:
Was wäre denn, wenn Unternehmen aufhörten über Vollzeit und Teilzeit zu lamentieren und stattdessen anfingen, in Aufgaben und Rollen zu denken? Sich fragen: Was muss getan werden und wer kann und möchte welche Rolle übernehmen, um diese Aufgaben zu erfüllen? Rollen könnten je nach Anforderung und Lebensphase der Mitarbeiter*innen wechseln.
Was wäre, wenn niemand mehr als 30 Stunden in der Woche arbeiten würde?
Was wäre, wenn Unternehmen Menschen mit Kindern nicht weniger Verantwortung übertrügen, sondern mehr? Wenn sie sie einfach machen ließen in dem Vertrauen, dass diese Menschen wissen, was zu tun ist und in der Lage sind, ihre Zeit so zu gestalten, dass es zu ihrem Leben passt? Und wenn sie sie befähigten und ermutigten, nach Unterstützung zu fragen, wenn sie sie brauchen? Wenn es eine Kultur der Vernetzung und Unterstützung im Unternehmen gäbe?
Was wäre, wenn Arbeitgeber sich einfach mal mit den Menschen im Unternehmen unterhielten, so richtig mit Zeit und von Angesicht zu Angesicht, und fragten: Was kannst und möchtest du zum Unternehmenserfolg beitragen? Welches Umfeld brauchst du, um gut arbeiten und leben zu können? Wie schafft ihr das als Familie?
Was wäre, wenn Unternehmen akzeptierten, dass Menschen immer Kinder bekommen werden – und dass das gut so ist. Dass es eine Bereicherung ist. Dass es etwas ist, zu dem sie Mitarbeiter*innen ermutigen sollten, statt dagegen anzukämpfen?
Mein Wunsch an Arbeitgeber? Redet mit den Menschen, die für und mit euch arbeiten.
Ich könnte noch eine Weile so weiterschreiben. All diese Vorstellungen stimmen mich optimistisch. Ich spüre, dass da was geht. Dass Menschen anfangen, sich neue Arbeitswelten zu bauen. Es passiert langsam, vieles passiert in einer Bubble, aber es passiert.
Mein Wunsch an Arbeitgeber? Redet mit den Menschen, die für und mit euch arbeiten. Fragt sie: Welche Rolle möchtest und kannst du gerade für das Unternehmen spielen? Was brauchst du, um gut arbeiten zu können? Was braucht ihr als Familie, um die berufliche und familiäre Verantwortung gut tragen zu können?
Fragt sie nicht, weil irgendein New-Work-Berater euch erzählt hat, dass man das jetzt so macht. Employer Branding und so. Fragt nicht, weil ihr müsst oder sollt oder euch einen wirtschaftlichen Gewinn davon erhofft. Fragt, weil es euch intersssiert. Und seid offen für die Antwort. Hört zu. Hört in euch rein. Nehmt euch die Zeit. Nutzt agile und digitale Tools, um euch kennenzulernen.
Von beidem – Zeit und Tools – habt ihr mehr als jemals zuvor.